Neues aus der wunderbaren Welt der barrierefreien Informationstechnik:
»Ergonomie der Mensch-System-Interaktion - Teil 171: Leitlinien für die Zugänglichkeit von Software (ISO/DIS 9241-171:2006); Deutsche Fassung prEN ISO 9241-171:2006« – diese etwas langatmige Bezeichnung bedeutet einfach nur, dass die bisher als getrennte Entwicklung gelaufene ISO-Norm 16071 »Ergonomie der Mensch-System-Interaktion - Leitlinien zur Barrierefreiheit von Mensch-Computer-Schnittstellen« jetzt in die DIN-Norm 9241 eingeflossen ist. Wer davon nicht genug kriegt kann ja danach auch noch »Ergonomie der Mensch-System-Interaktion - Teil 151: Leitlinien zur Gestaltung von Benutzungsschnittstellen für das World Wide Web (ISO/DIS 9241-151:2006); Deutsche Fassung prEN ISO 9241-151:2006« lesen (via).
zum Thema Zertifizierung:
Via kobinet: »Zertifizierungsangebote für barrierefreie Webangebote«
Anlässlich des 6. Schweizer E-Government Symposiums wurde gestern in Zürich das Zertifikat »zertifizierte barrierefreie Website« vorgestellt, weitere Infos unter www.label4all.ch.
Die britische Disability Rights Commission (DRC) hat die bisher kostenpflichtige Spezifikation PAS 78 (wir berichteten) nun als kostenlosen Download veröffentlicht: »Guide to good practice in commissioning accessible websites«.
Um einem schon mehrfach gehörten Mißverständnis vorzubeugen: die PAS 78 ist kein eigener Standard für barrierefreie Webangebote, sondern nur eine Anleitung, wie man diese auf Basis der bestehenden Standards beauftragt. Also Pflichtlektüre für alle, die größere Webangebote extern oder intern betreuen lassen (sofern man die Warnhinweise beachtet).
Nach der Veröffentlichung der Spezifikation PAS 78 des British Standards Institute zur Beschaffung barrierefreier Webangebote (wir berichteten) haben einige Leute den Text schon gelesen und ihre Meinung dazu veröffentlicht:
Das umstrittene Thema Zertifizierung ist ein guter Anlass das schon länger geplante Forum bei ›Einfach für Alle‹ nun zu veröffentlichen. Wir möchten damit den verschiedenen Meinungen zu diesem und anderen umstrittenen Themen eine Plattform bieten. Die kontroversen Texte bieten dazu eine Diskussionsgrundlage:
Beim angestrengten Nachdenken über die weitere Entwicklung von EfA ist uns gerade aufgefallen, daß wir neben den bereits bekannten Punkten noch in einem weiteren nicht BITV-konform sind. Bedingung 3.3 der Verordnung verlangt: Es sind Style Sheets zu verwenden, um die Text– und Bildgestaltung sowie die Präsentation von mittels Markup–Sprachen geschaffener Dokumente zu beeinflussen.
Inhaltlich verwandt geht es weiter in Bedingung 6.1: Es muss sichergestellt sein, dass mittels Markup–Sprachen geschaffene Dokumente verwendbar sind, wenn die zugeordneten Style Sheets deaktiviert sind.
Nun bieten wir seit geraumer Zeit einen sog. RSS-Feed an. Hiermit werden die täglichen Nachrichten in einem XML-basierten Format verschickt, was den Feed eindeutig zu einem »mit Markup-Sprachen geschaffenen Dokument« macht. XML wiederum verlangt für die Darstellung der Inhalte zwingend nach einem Style Sheet, sei es daß der Anbieter dies bereitstellt, oder daß der User Agent dies von sich aus anwendet (wie dies im Falle eines RSS-Feeds der Feedreader macht).
Wie ein XML-Dokument ohne die zugeordneten Style Sheets aussieht lässt sich sehr schnell überprüfen, wenn man den RSS-Feed in einem Browser öffnet, der keinen eingebauten Feedreader hat (und das sind die meisten). Ohne Style Sheets ist das Dokument nicht verwendbar, da der rohe Quelltext dargestellt wird: This XML file does not appear to have any style information associated with it. The document tree is shown below.
Das passiert halt, wenn Verordnungen nur auf eine bestimmte Technik (HTML) abzielen und damit nicht mehr offen für Neues sind. Für Anbieter, die der BITV unterworfen sind stellt sich damit aber die Frage, ob man weiterhin seinen Lesern einen aktuellen Service via RSS-Feed bietet und damit auf das mühsam errungene BITV-Zertifikat verzichtet, oder ob man sich lieber sklavisch an den Buchstaben des Gesetzes orientiert.
Nach den Technikern und Gestaltern entdecken nun auch die Journalisten so langsam die Barrierefreiheit im Netz. Was insofern wichtig ist, da WCAG und BITV nicht nur für technische und gestalterische Berrieren geschaffen wurden, sondern auch den Zugang auf der inhaltlichen Ebene erleichtern sollen. Bei onlinejournalismus.de gibt es für diese Zielgruppe ein umfassendes Dossier, das im Schnelldurchgang die wichtigsten Aspekte behandelt:
Ein Konsortium internationaler Partner entwickelt neue Software und Methoden zur Prüfung von Webseiten auf Barrierefreiheit. Auch komplexe Design-Anforderungen sollen damit automatisiert »prüfbar« werden. Koordiniert wird das EU-Projekt durch Forscher des Fraunhofer-Instituts FIT. Vom 30.09. bis 01.10.2004 treffen sich die Partner auf Schloss Birlinghoven in Sankt Augustin bei Bonn zum Projektstart. Mehr dazu beim innovationsreport.
Besser hätten wir das auch nicht sagen können, daher hier nur die wichtigsten Punkte aus einer Stellungnahme des BIK-Projekts zum Thema Zertifizierung:
- Basis einer Konformitätsprüfung sollte die BITV sein.
- Unzugängliche Webangebote sollten die Konformitätsprüfung nicht bestehen.
- Die BITV ist keine Prüfanleitung.
- Die vollständige Prüfung der BITV-Konformität umfangreicher Webangebote ist nicht sinnvoll.
Den vollen Text zwischen den einzelnen Punkten finden Sie bei BIK: »Zertifizierung von barrierefreien Webangeboten«; in die gleiche Richtung gehen der Barrierekompass mit dem Artikel »DIN-Zertifikat für barrierefreie Websites« und das AbI-Projekt mit »Siegel für barrierefreie Websites«.
In Köln wurde gestern der »Arbeitskreis Barrierefreies Internet« im Deutschen Multimedia-Verband (DMMV) gegründet. Ziel des Arbeitskreises ist zunächst die Formulierung von Erwartungen und Wünschen der Branche und die Zusammenführung von Erfahrungen, um einen positiven Einfluß auf die Weiterentwicklung der gängigen Richtlinien im Sinne der digitalen Wirtschaft nehmen zu können. Später sollen den Mitgliedsunternehmen auch Schulungen zur Barrierefreiheit im Rahmen des DMMV-Semimarprogramms angeboten und Leitfäden für Mitgliedsunternehmen und Kunden erstellt werden.
Interessante Diskussionen ergaben sich auch, als das Thema Zertifizierung von Websites zur Sprache kam. Von einigen Gegenstimmen abgesehen, die vor allem die Rechtssicherheit für Dienstleister betonten, herrschte jedoch der Konsens vor, dass eine wirklich haltbare Zertifizierung beim gegenwärtigen Stand der Richtlinien und Verordnungen nicht zu machen sei.
Falls Sie DMMV-Mitglied sind: das nächste Treffen findet im Vorfeld des Deutschen Multimedia-Kongress (dmmk) am 28. Juni von 11 bis 14 Uhr in Berlin statt. Ansprechpartner für Interessierte sind Benno Klaas von der Agentur denkwerk in Köln, die auch den Arbeitskreis initiiert hatten und Daniel Vorhauer von Hexerei Software.
Andreas K. Bittner beschreibt in einem Artikel bei ecin.de den aktuellen Stand des barrierefreien Webdesigns in Deutschland. Die Essenz:
- Auf Mailinglisten und Fachveranstaltungen diskutieren Experten und Tüftler inzwischen die vertracktesten Spezialfälle, während eine breite Öffentlichkeit nicht einmal für die Relevanz des Themas sensibilisiert ist.
- Breite Aufmerksamkeit hingegen versprechen sich immer häufiger Unternehmen, die in den Medien einen barrierefreien Relaunch ihrer Website ankündigen, der oft nicht mal einer oberflächlichen Prüfung standhält.
- Inzwischen gibt es eine fast inflationäre Zahl von Gütesiegeln, digitalen Prüfstempeln, Zertifikaten und sogar selbst verliehenen Barrierefreiheits-Zeugnissen.
Dem haben wir nichts hinzuzufügen. Weiterlesen: Barrierefreies Informationsdesign - Internet auf Krankenschein?
Das EuroAccessibility Project ist ein neuer Zusammenschluß von 24 europäischen Organisationen aus dem Bereich der Web Accessibility. Ziel des Projekts ist die länderübergreifende Koordination von Evaluation und Zertifizierung barrierefreier Websites basierend auf den WCAG Empfehlungen.